Oleg Cernavin

Vertrauenskultur: Wertschöpfung durch Wertschätzung

Das Thema Wertschätzung als Produktivitätsfaktor für die Ökonomie wird momentan heftig diskutiert. Anlass ist dabei weniger die Tatsache; dass die Ergebnisse der unübersehbaren Anzahl von Studien der letzten 25 Jahre aus der Forschung (zum Beispiel Humanisierung der Arbeit, Innovative Arbeitsgestaltung) endlich in der Betriebspraxis angekommen seien. Der Anlass der Diskussion liegt in Entwicklungen der Arbeit selbst.

Wertschätzung – ein alter Hut wird wieder aktuell ...

Das Thema Wertschätzung ist eigentlich ein alter Hut. Es war schon immer zentrales Thema der Ökonomie gewesen (vgl. unter anderem Böckmann 1980; Langner 1996). Der Mensch spielte – als (doppelt)freier Lohnarbeiter – in der kapitalistischen Produktion schon immer eine zentrale Rolle als Wertschöpfer. Den Unternehmern war dies – bei allen Versuchen die Arbeitskraft möglichst optimal zu nutzen und auszubeuten – in der Regel auch bewusst.

Zur optimalen Nutzung der Arbeitskraft gehörte auch die Pflege des Arbeitspotentials und seine Wertschätzung. Das wird nicht nur am Beispiel besonders sozialer Unternehmer deutlich, die es immer gab. Das wird auch darin deutlich, dass es in vielen Betrieben eine Unternehmenskultur gab, die immer auch Identifikationsmöglichkeiten bot – basierend auf arbeitsteiliger Arbeitsorganistaion. Dies zeigte sich zum Beispiel in den stolzen Bekenntnissen der Beschäftigten wie „Ich bin Analiner“ oder „Ich bin Opelaner“ (vgl. unter anderem Schirmbeck 1988). Trotz teilweise intensiver sozialer und politischer Auseinandersetzungen in den Unternehmen, basierte die Produktivität auf einem gewissen Grundlevel der Wertschätzung untereinander. Arbeit hat im Lohnarbeitsverhältnis immer auch soziale Identität ermöglicht und geschaffen.

Bei Mittelständlern und bei kleineren Handwerksunternehmen war der wertschätzende Umgang mit den Beschäftigten in noch viel stärkerem Maße als in großen Unternehmen, die Voraussetzung für ökonomischen Erfolg. Das war allein darin begründet, dass die sozialen Gruppen kleiner und die Unternehmer und Führungskräfte ihren Beschäftigten persönlich näher waren. Das führte zu größerer menschlicher Nähe, und das wiederum dazu, dass den Unternehmern auch ihre Abhängigkeit von den fachlichen und menschlichen Kompetenzen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich wurde. Die Geschichte vom Handwerksmeister, der auch die Probleme der Kinder und Ehepartner seiner Beschäftigten kennt und sich darum kümmert, ist kein Mythos sondern auch heute noch oft praktizierte Praxis (vgl. Cernavin u.a. 2006).

Die Wertschätzung war also schon immer ein Thema von Wertschöpfung. Es ist aber kein Zufall und auch keine kurzatmige Modeerscheinung, dass gerade jetzt die Bedeutung der Wertschätzung und der damit verbundenen Vertrauenskultur stärker diskutiert wird. Auslöser für diese Diskussionen sind zwei ökonomische Entwicklungen:

  • Die erste grundlegende Entwicklung wird in den geänderten Anforderungen der Wissensökonomie an die Wertschöpfungsprozesse sichtbar.
  • Die zweite Entwicklung zeigt sich in der Unternehmenspolitiken der kurzen Fristen bei vielen vor allem größeren Unternehmen, die

Die beiden Entwicklungen sollen im folgenden kurz skizziert werden.

... weil die Wissensökonomie die Bedingungen der Wertschöpfung ändert

Der Einzug computergesteuerter Arbeitsmittel in die industrielle Fertigung und in die Dienstleistungsarbeit brachte insbesondere folgende neue Anforderungen mit sich (vgl. unter anderem Ostermann 1999; Shaiken 1993; Stangel-Meseke 1994; Volkholz et al.2002.):

  • schnelle Wandlungsprozesse verbunden mit einer Zunahme der Zahl von Entscheidungssituationen sowie steigenden Lern- und Weiterbildungserfordernissen,
  • höhere Anforderungen an soziale, kommunikative und methodische Kompetenzen,
  • vermehrter Einsatz gut ausgebildeter Arbeitskräfte, die auf Basis einer qualifizierten

Fachausbildung eigenverantwortlich und kreativ entscheiden.

In diesen Entwicklungen wurde ein qualitativer Wandel der Arbeitswelt sichtbar und man begann, von der „Wissensarbeit“ zu sprechen. Der Begriff Wissensarbeit beschreibt nicht nur den Austausch des Bandarbeiters durch den Ingenieur, der die automatisierte Anlage überwacht und wartet und nicht nur den zunehmenden Wandel zur Dienstleistungstätigkeit selbst in den klassischen Industriesektoren. Der Begriff Wissensarbeit beschreibt vor allem den qualitativen Wandel der Arbeit.

In der Wissensgesellschaft gewinnen die humanen Ressourcen an Bedeutung. Humane Ressourcen waren zwar schon immer – auch in der alten Industrieökonomie – wesentlich für ökonomische Wertschöpfung. Doch mit den neuen Technologien und dem damit verbundenen Wandel von Arbeitsinhalten und Arbeitsformen bekommen die humanen Ressourcen eine neue Dimension für die Wertschöpfung: Produktivität generiert sich in der Wissensökonomie zunehmend im Kopf des Beschäftigten als immer neu entwickeltes Wissen.

Aus Sicht des Unternehmens werden die Fähigkeiten,

  • Wissen in die betriebsspezifischen Arbeitsprozesse zu integrieren,
  • Wissen zu bewerten,
  • auf Informationen zu reagieren,
  • Wissen und Informationen zu verwalten und mit Wissen Mehrwert zu schaffen, wichtiger als zerlegte Routinetätigkeiten.

Der Umgang mit Daten, Informationen und vor allem Wissen erhält mehr und mehr die Schlüsselrolle für den effektiven Einsatz aller anderen Produktions- und Leistungsfaktoren. Dabei muss das Unternehmen berücksichtigen, dass der Umgang mit Informationen vor allem von der Arbeit der Wissensarbeiterinnen und -arbeiter abhängt. Sie beobachten die Veränderungen der externen Umwelt, sie bewerten Wissen, und sie reagieren auf neue Nachrichten und andere Daten.

Diejenigen Unternehmen, die diese Fähigkeiten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bestmöglich aktivieren, erlangen Vorteile im Wertschöpfungsprozess. Je besser diese Aktivierung geliungt, desto größer ist die Chance, im Veränderungsprozess die Treiber und nicht die Getriebenen zu sein. Was wesentliche Grundlage für die Aktivierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist wissen wir aus zahlreichen Untersuchungen: die Wissensarbeiterinnen und –arbeiter sind dann leistungsbereit, wenn sie wertschätzend behandelt werden.

Wertschätzende Behandlung bedeutet aber nicht nur wertschätzende Behandlung des Einzelnen. Es bedeutet immer auch, eine wertschätzende Vertrauenskultur. Die Art des Umgangs untereinander, die Handlungsmuster und Wertesysteme, die sich in der Geschichte des Unternehmens herausgebildet haben, beschreiben die Qualität der Vertrauenskultur. Jedes Unternehmen hat die Möglichkeit, dieses soziale Umfeld der Arbeit und die damit verbundene Vertrauenskultur zielgerichtet zu beeinflussen. Das soziale Umfeld stellt damit einerseits für das Unternehmen eine Chance dar, indem es durch Aktivierung der in ihm „schlummernden“ sozialen Ressourcen die Verwirklichung bestimmter Ziele ermöglicht, die ohne diese Aktivierung nicht zu verwirklichen wären. Andererseits ist das soziale Umfeld auch ein Unsicherheitsfaktor, weil es schwer zu beeinflussen ist und eine große Eigendynamik besitzt – vor allem dann wenn es sich um eigenverantwortlich handelnde, hochkompetente Wissensaktuere handelt.

Wenn es gelingt, die zur Verfügung stehenden sozialen Ressourcen zu aktivieren, entwickelt sich eine soziale Dynamik, welche die spezifische Leistungsfähigkeit und die Leistungsbereitschaft der Wissensarbeiterinnen und -arbeiter mir ihren Schlüsselkompetenzen fördert. Diese soziale Dynamik ermöglicht und fördert ihre Fähigkeit, selbstreguliert und selbstorganisiert in den betrieblichen Wertschöpfungsprozessen entscheiden und handeln zu können.

Die vorliegenden Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Aktivierung der humanen Ressourcen nur in einem systemischen Prozess mit der Aktivierung der sozialen Ressourcen nachhaltig möglich ist. Die Erschließung der sozialen Ressourcen über eine qualitativ hochwertige Vertrauenskultur auf der Grundlage eines wertschätzenden Umgangs untereinander wird in der Wissensökonomie damit zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor. (vgl. unter anderem Brödner u.a. 2002; Kastner 2003; Moldaschl 2005; Deutsche Forschungsgesellschaft 2001)

In den Untersuchungen wird jedoch auch immer wieder festgestellt, das dies offensichtlich eines der Hauptprobleme der Führungskräfte im Umgang mit den neuen Entwicklung zu sein scheint – nochmals populär unterstützt in der vielzitierten Gallup-Studie zum Führungskräfteverhalten. Alle Strategien zur Förderung der humanen Ressourcen laufen ins Leere, wenn der systemische Prozess zwischen humanen und sozialen Ressourcen nicht beachtet wird. Der Umgang und die Förderung der sozialen Ressourcen durch eine hochwertige Vertrauenskultur ist ein Schlüssel für die Erhöhung der Arbeitsproduktivität und für die optimale Gestaltung der Wertschöpfungsprozesse in der Wissensökonomie.

... weil der Kostensenkungsdruck sich verstärkt

Parallel zur Tendenz der zunehmenden Bedeutung von Menschen und sozialen Beziehungen (humanen und sozialen Ressourcen) für die ökonomische Wertschöpfung in der Wissensökonomie ist die Tendenz einer Intensivierung, Verdichtung und Entgrenzung der Arbeit sowie einer Vermarktlichung aller Lebensbereiche zu erkennen. Globalisierte Finanzmärkte, Kapitalstrategien und Unternehmenspolitiken erzeugen eine enorme Verstärkung des Kostensenkungsdruckes. Dies hat zum einen die Auflösung traditioneller Arbeitsverhältnisse zur Folge sowie eine Zunahme von Markt- und Zeitdruck, der in allen Verästelungen sämtlicher Arbeitsprozesse durch Intensivierung, Verdichtung und Entgrenzung der Arbeit wirkt – bis hin zum Kleinstunternehmen.

Viele – vor allem große Unternehmen - reagieren mit kurzfristig orientierten Unternehmenspolitiken auf die Verstärkung des Kostensenkungsdruckes. Sie versuchen kurzfristig den höchsten ökonomischen Gewinn zu erzielen. Dadurch verstärken sie künstlich diesen Kostensenkungsdruck noch zusätzlich. Andererseits gefährden und deaktivieren sie gerade diejenigen Ressourcen, von denen ihre Wertschöpfung in der Wissensökonomie vor allem abhängt. Dies vor allem deswegen, weil der Druck kurzfristiger Unternehmenspolitiken die Unternehmen zu fatalen Handlungen treibt:

  • Sie reorganisieren hektisch in Permanenz,
  • Sie veranstalten einen Rotationszirkus des ständigen Austausches von Führungspositionen
  • Sie ändern ihre Leitorientierungen in nicht mehr nachvollziehbaren, immer kürzeren Zyklen.

Dieser orientierungslose Aktivitätswahn vernichtet eher die Leistungsbereitschaft der Wissensarbeiterinnen und –arbeiter statt sie zu fördern. Diese Handlungen zerstören auch das soziale Klima in den Unternehmen und erzeugen eine Unternehmenskultur, die eher durch Rückzug (innere-Kündigung) und Misstrauen gekennzeichnet ist. Statt - wie in der Wissensökonomie zunehmend erforderlich - gerade die Menschen und die sozialen Beziehungen durch eine hochwertige Vertrauenskultur zu fördern und zu pflegen, werden Motivation und Vertrauensbeziehungen erheblich beschädigt. Der Kostensenkungsdruckes gepaart mit kurzfristigen Unternehmenspolitiken konterkarieren damit die für einen nachhaltigen Erfolg notwenigen Bedingungen für einen erfolgreichen Wertschöpfungsprozess. Dies kann oft nur durch kurzfristige Ver- und Aufkäufe und andere Kapitalstrategien kaschiert werden.

Erfolgreiche Unternehmen – vor allem aus dem Mittelstand und kleine Unternehmen – belegen, wie in der Wissensökonomie eine qualitativ hochwertige Vertrauenskultur zu nachhaltigem wirtschaftlichem Erfolg führt (vgl. unter anderem Cernavin 2006, ......). Es sind vor allem diese Unternehmen, die konsequent die Erkenntnisse umsetzen, die ihnen wissenschaftliche Untersuchungen über die Produktivität und die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten liefern (vgl. unter anderem Neuberger 2002; Rosenstiel u.a. 2003; Schein 2003; Sonntag 1992; Stengel 1997)

Hier finden sich die in der Praxis bewährten Erfolgsmodelle für eine auf Wertschätzung basierten Vertrauenskultur.


Vertrauenskultur – die spezifische Art des Umgangs miteinander

Im folgenden soll kurz auf den scheinbar diffusen Begriff der Vertrauenskultur eingegangen werden. Vertrauenskultur bedeutet, dass die Kultur (kulturellen Codes) eines Unternehmens ein vertrauensvollen Miteinander der Personen im Unternehmen fördert. Eine solche Vertrauenskultur kann nicht per Dekret eingeführt werden, da es immer um Denk-, Verhaltensweisen (Handlungsmuster) und um Emotionen geht, die eine Geschichte haben. Eine Vertrauenskultur kann sich nur in langen Fristen entwickeln. Diese Kultur entwickelt sich im Zeitfluß im Entscheidungs- und Handlungsprozess im Unternehmen ständig weiter. Kulturellen Codes, die für die Vertrauenskultur im Unternehmen relevant sind, vermitteln sich vor allem folgendermaßen (vgl. unter anderem Rosenstiel 2000, Steinmann u.s. 2000).

  • Vertrauenskultur vermittelt sich über Sprache und Bilder als Deutungsmuster und Zeichensysteme der Vergangenheit im Unternehmen. Dies geschieht beispielsweise in Geschichten, Mythen, Anekdoten, Legenden, Slogans, Mottos, Maximen und Grundsätzen, in Sprachregelungen oder Tabus. Sprache und Bilder transportieren, wie "man etwas im Unternehmen gemacht hat und wie man es sieht". Sprache und Bilder beschreiben und vermitteln zum Beispiel die Traditionen und grundlegenden Annahmen wie im Unternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern miteinander umgehen und sich gegenseitig behandeln oder wie sich die Führungskräfte gegenüber Ihren Beschäftigten verhalten.
  • Vertrauenskultur vermittelt sich über die spezifische Art der Kommunikation im Unternehmen, in der die Deutungsmuster transportiert werden. Hier wird für jeden erfahrbar, wie in der Vergangenheit und aktuell untereinander, mit den Kunden und mit der Umwelt umgegangen wird. Sichtbar wird die spezifische Art der Kommunikation im Unternehmen beispielsweise in: Art des Führungsverhaltens, Art des Umgangs beim Arbeiten, Art der Einbindung und Beteiligung von Mitarbeitern, Art von Entlassungen aber auch in Routinen, Riten, Zeremonien, Feiern, Bräuchen,.

In der jeweils spezifischen Entwicklungsgeschichte eines Unternehmens ergibt sich jeweils eine spezifische Kultur, die das Vertrauensverhältnis der Personen im Unternehmen untereinander beeinflusst und steuert. Diese Kultur spiegelt sich implizit in den Rollen der einzelnen Beschäftigten, in den typischen Entscheidungsabläufen, in den Werten im Unternehmen und in den gemeinsamen Wissensvorräten im Unternehmen. Die Art der Vertrauenskultur zeigt sich aber auch in der formalen Organisation (explizit). Die Art des Umgangs wird auch in Jobbeschreibungen, Verträgen, Arbeitsanweisungen, Leitlinien oder Zielvereinbarungen sichtbar – siehe Abbildung.

Im Zusammenspiel von Rollen, Werten, Programmen, gemeinsamen (Kollektiven) Wissensvorräten .entwickeln sich die spezifische Qualität des Umgangs miteinander. Diese spezifische Vertrauenskultur besitzt ein „Eigenleben“ neben den einzelnen Personen, wird aber erst „durch sie hindurch“ lebendig - durch ihre alltägliche Kommunikation, ihre alltäglichen Entscheidungen und Handlungen, ihr Verhalten untereinander. Gleichzeitig steuern diese Dimensionen alle Kommunikationen, Entscheidungen und Handlungen einzelner Mitglieder des Unternehmens mit.

Eine erste Schlussfolgerung aus den kurzen Betrachtungen zur Vertrauenskultur lautet: Eine Vertrauenskultur entsteht erst in einer längeren Entwicklung, sie benötigt eine „Geschichte“. Vertrauen entsteht erst nach verlässlichen Erfahrungen untereinander. Schicke Formulierungen in der Imagebroschüre und auf der Homepage reichen dafür nicht aus. Damit die Vertrauensbeziehungen zu einer „Kultur“ werden, die in einem Unternehmen unabhängig vom einzelnen das Handeln beeinflusst, benötigt es etwas Geduld und Zeit. Eine glaubwürdige Vertrauenskultur benötigt viele gegenseitige Erfahrungsprozesse und Bestätigung. Eine solche glaubwürdige Vertrauenskultur die Voraussetzung dafür, dass Personen sich weitgehend einbringen und den Arbeitsprozess als Ihre eigene Angelegenheit ansehen.

Der Operationsmodus für die jeweils spezifische Vertrauenskultur im Unternehmen



Eine zweite Schlussfolgerung lautet: Es gibt immer nur eine spezifische Vertrauenskultur in einem spezifischen Unternehmen. Jeder hat seine eigenen glaubwürdigen Entwicklungen einzuleiten, mit jeweils ganz eigenen Ergebnissen.

Eine dritte Schlussfolgerung lautet schließlich: Die Herausbildung und Pflege einer Vertrauenskultur ist ein ständiger Prozess. Ein Unternehmen kann nicht einen bestimmten Entwicklungstand erreichen und den bewahren, sondern die Vertrauenskultur entwickelt sich im Zeitfluss mit ständig neuen Erfahrungen, neuen Menschen im Unternehmen ständig weiter – und kann ständig besser oder schlechter werden. Die Aufgabe, die Vertrauenskultur zu pflegen und zu entwickeln, bedeutet kon tinuierlich darauf zu achten,

  • die formalen Bedingungen (Verträge, Arbeitsanweisungen, usw.) auf vertrauensvolle Verhältnisse auszurichten und
  • gleichzeitig für das tägliche Verhalten aller eine glaubwürdige Vertrauensbasis zu bewahren (was selbst im guten Falle immer mal besser und schlechter gelingt)


Wertschöpfung durch Wertschätzung und Vertrauenskultur – Handlungshinweise

Im Folgenden einige Erfahrungen wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Wertschätzung in einer glaubwürdigen Vertrauenskultur aktiviert werden können. Hilfreich bei der Förderung einer glaubwürdigen Vertrauenskultur ist es, wenn folgende Aspekte berücksichtigt werden:

  • Menschenbild im Unternehmen
  • Qualität der Führung
  • Art der Unternehmenskommunikation
  • Beteiligungschancen der Beschäftigten
  • Personaleinsatz nach Potenzialen
  • Personelle Vielfalt der Belegschaft

Zu diesen Aspekten im Folgenden einige kurze Hinweise.

Menschenbild im Unternehmen

Eine entscheidende Grundlage, ob eine glaubwürdige Vertrauenskultur entstehen kann, ist das Menschenbild, das die Führungskräfte im Unternehmen besitzen. Dazu gehören unter anderem Fragen wie:

  • Wird deutlich, dass es im Unternehmen nicht nur um kurzfristige Gewinnmaximierung geht, sondern dass daneben auch andere soziale Ziele für Entscheidungen und Handlungen wichtig sind – oder wird darauf gar kein Wert gelegt?
  • Werden die Beschäftigten als eigenständige, intelligente und eigenverantwortliche Personen betrachtet – oder werden sie als eher unmotivierte angesehen?
  • Wir die Würde der Beschäftigten durch den Umgang mit ihnen und durch die Arbeitsbedingungen geachtet – oder wird sie öfter mal aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen verletzt?
  • Wird die Person des einzelnen geachtet – oder wird ihr eher mit Misstrauen begegnet? o Wird den Beschäftigten tatsächlich zugetraut, was sie machen sollen – oder wird diese Fähigkeit eher angezweifelt?
  • Wird jeder einzelne Beschäftigte mit seinen ganz persönlichen Eigenarten und Fähigkeiten geachtet, anerkannt und gefördert – oder werden die Menschen unterschiedlich behandelt?
  • Wird davon ausgegangen, dass die Beschäftigten gerne arbeiten - oder werden sie eher als jemand gesehen, denen es doch nur um das Geld geht?

Qualität der Führung

Ein weiterer wesentlicher Faktor für die Entwicklung einer Vertrauenskultur ist die Qualität der Führung. Führung sollte verbindlichen Sinn vermitteln und damit Rahmenbedingungen (Kontexte) schaffen, in denen sich die Personen gerne engagieren und arbeiten. Sinn vermitteln bedeutet auch klare Orientierungen vorgeben und Grenzen setzen, damit ein verbindlicher Rahmen vorhanden ist, um möglichst eigenständig und eigenverantwortlich handeln zu können. Dazu gehören unter anderem Fragen wie:

  • Ist die Führung an der Steuerung von Kontexten orientiert wie zum Beispiel die Gestaltung guter Arbeitsbedingungen – oder gibt sie eher detailliert alles vor und verlangt, dass es so umgesetzt wird?
  • Ist sich die Führung sich bewusst nicht immer „alles im Griff“ zu haben und fördert sie die Eigendynamik -oder versucht die Führung ständig alles zu beherrschen und zu kontrollieren?
  • Ist für die Führung der Status von Symbolen und die Position in der formalen Hierarchie wichtig - oder orientiert sie sich eher an den Arbeitshinhalten und der gemeinsamen gegenseitigen Anerkennung?
  • Ist die Führung eher an der Selbststeuerung von Prozessen und den Arbeitsergebnissen orientiert - oder orientiert sie sich eher an der formalen Ordnung und der Einhaltung formaler Vorgaben.
  • Versuchen Führungskräfte auftretende Probleme konstruktiv zu lösen und aus Fehlern gemeinsam zu lernen – oder suchen sie nach Schuldigen?
  • Fördern Führungskräfte die Kompetenzen ihrer Beschäftigten und erkennen sie diese an – oder können sie nicht ertragen, wenn andere „besser“ sind
  • Praktizieren die Führungskräfte das, was sie selber von anderen verlangen – oder hat das eingeforderte Verhalten für sie selbst keine Geltung?

Art der Unternehmenskommunikation

Vertrauenskultur wird wesentlich über die Art der Unternehmenskultur vermittelt. Kommunikation (verbal, non-verbal) als „Schmiermittel“ jeder sozialen Beziehung ist die wesentliche (konstituierende) Grundlage von Vertrauenskultur (wie von Unternehmen als sozialem System generell). Zur Unternehmenskultur gehören unter der Perspektive der Vertrauenskultur gehören unter anderem Fragen wie:

  • Erhalten die Beschäftigten alle Informationen für die Arbeitsaufgabe – oder sind sie immer nur bruchstückhaft und teilweise informiert
  • Wissen die Beschäftigten, welchen Anteil ihre Arbeitsaufgabe für das Gesamtprodukt oder die Gesamtdienstleistung im Unternehmen besitzt – oder ist Ihnen eher unbekannt, welche Bedeutung ihr Beitrag für „das Ganze“ ist?
  • Kennen die Beschäftigten die Ziele und Strategien des Unternehmens – oder ist das nur ein Thema bei den Führungskräften (oder überhaupt gar kein Thema)?
  • Basiert die Kommunikation der Führungskräfte eher auf rationaler Motivation und dem „Wille zur Vernunft“ – oder geben Führungskräfte öfter etwas auf Klatsch, Gerüchte, Spekulationen, Andeutungen oder auf Informationen vom Hörendsagen?
  • Haben die Beschäftigten jederzeit Zugang zu den für sie wichtigen Informationen – oder ist dieser Zugang eher schwer und mühsam?
  • Gibt es klare Vereinbarungen und Regelungen für die Lösung von Konflikten – oder werden Konflikte eher willkürlich oder je nach Befindlichkeit der Führungskräfte geregelt?
  • Gibt es im Unternehmen eine Kultur, in der Führungskräfte und Beschäftigte Kritik ertragen, weil den meisten deutlich ist, dass es eher um die Sache und um Verbesserungen geht – oder wird Kritik eher persönlich genommen?
  • Gibt es im Unternehmen eine Kultur in der Führungskräfte und Beschäftigte eher zuhören können - oder gibt es eher eine Kultur der Besserwisser und Bervormunder?

Beteiligungschancen der Beschäftigten

Vertrauen und Wertschätzung entstehen im Unternehmen nur, wenn alle Beteiligten tatsächliche einen ernsthaften Beitrag zum Ganzen liefern können. Vertrauen und Wertschätzung sind nur über Beteiligung an der Sache zu erreichen. Die Beteiligungschancen der Beschäftigten geben deswegen Auskunft über die Qualität der Vertrauenskultur im Unternehme. Dazu gehören unter anderem Fragen wie:

  • Ist mit den Beschäftigten vereinbart, welche Rolle sie im Unternehmen haben, was gegenseitig voneinander verlangt und erwartet wird und wie die gegenseitige Bewertung stattfindet (bzw. die Kontrolle der Vereinbarungen) – oder bleiben diese gegenseitigen Erwartungen eher diffus und unausgesprochen?
  • Haben die Beschäftigten eher die Möglichkeiten Ihre Fähigkeiten bei der Arbeit einzubringen – oder können sie eher nur das bearbeiten, was ihnen direkt zugewiesen wird?
  • Besitzen die Beschäftigten Mitsprache bei wichtigen Entscheidungen in ihrem Arbeitsbereich – oder werden die Meinungen der Beschäftigten eher nicht berücksichtigt?
  • Können die Beschäftigten Ihre Erfahrungen über Fehler, Störungen und Probleme im Arbeitsablauf regelmäßig für Verbesserungsprozesse einbringen und werden diese Erfahrungen auch berücksichtigt – oder werden diese Kenntnisse der Beschäftigten eher nicht genutzt?
  • Die Beschäftigten haben die Möglichkeit regelmäßig mit ihren Führungskräften über ihren Arbeitsplatz zu sprechen (zum Beispiel Über-, Unterforderung) und es werden gemeinsam Lösungen für auftretende Probleme gefunden – oder haben die beschäftigten keine Möglichkeiten über ihre Arbeitsprobleme zu beeinflussen?

Personaleinsatz nach Potenzialen

Ein Aspekt von Wertschätzung ist die Kenntnis der Fähigkeiten; Kompetenzen, Erfahrungen und der Einzigartigkeit eines jeden Beschäftigten und sein entsprechende Einsatz. Beschäftigte werden dann am intensivsten ihre Leistungen einbringen, wenn Sie entsprechend Ihrer Potenziale eingesetzt werden. Dazu gehören unter anderem Fragen wie:

  • Sind die Fähigkeiten; Kompetenzen und Erfahrungen der Beschäftigten den Führungskräften bekannt – oder ist das überhaupt kein Thema für sie?
  • Wird mit den Beschäftigten gemeinsam vereinbart, wie sie ihre Fähigkeiten; Kompetenzen und Erfahrungen für die zu bewältigenden Arbeitsaufgaben einbringen können – oder spielt dies bei der Einsatzplanung der Beschäftigten keine Rolle?
  • Wird den Beschäftigten die Möglichkeit gegeben ihre spezifischen Fähigkeiten; Kompetenzen, Erfahrungen gezielt weiter zu fördern (zum Beispiel Fortbildung, Trainings) – oder gibt es keine Maßnahmen zur Förderung der Stärken der einzelnen Beschäftigten?
  • Können die Beschäftigten Ihre Fähigkeiten; Kompetenzen, Erfahrungen für neue Entwicklungen und andere Innovationen einbringen –oder wird eher nicht darauf kein Wert gelegt?
  • Haben die Beschäftigten die Möglichkeit die Bearbeitung ihrer Projekte entsprechend Ihren Fähigkeiten; Kompetenzen, Erfahrungen und persönlichen Neigungen im Rahmen der abgestimmten Auftragserledigung und der Ressourcen selbst zu gestalten (zum Beispiel Arbeitsplanung, Zeit, Ort, Verwendung der Ressourcen) – oder geschieht die Projektrealisierung in genau vorgegebenen Abläufen?

Personelle Vielfalt der Belegschaft

Ein aktivierender Aspekt für die kreative und innovative Atmosphäre im Unternehmen ist die Vielfältigkeit der Impulse die in den Arbeits- und Innovationsprozess einfließen. Als Faustregel kann gelten: Je Vielfältiger die Belegschaft umso vielfältiger die Ideen und Erfahrungen die einfließen. Die Förderung und Nutzung der Vielfalt setzt einen bewussten Umgang mit Wertschätzung im Unternehmen voraus. Dazu gehören unter anderem Fragen wie:

  • Ist der Anteil von weiblichen und männlichen Beschäftigten in der Belegschaft und bei den Führungskräften in etwas ausgeglichen – oder wird darauf gar nicht geachtet?
  • Gibt es Konzepte und Maßnahamen, wie Kinder von Beschäftigten betreut werden können – oder ist das bisher noch gar nicht thematisiert worden?
  • Ist die Altersstruktur in der Belegschaft in etwa ausgeglichen oder dominiert eine Altersgruppe beziehungsweise sind bestimmte Altersgruppen unterrepräsentiert?
  • Gibt es ein Konzept und Maßnahmen, wie die Kompetenzen älterer Beschäftigter besonders genutzt werden können – oder gibt es gar keine Überlegungen zur Nutzung der spezifischen Fähigkeiten älterer Beschäftigter
  • Gibt es Konzepte und Überlegungen, wie die Kompetenzen und Erfahrungen der „RentnerInnen“ nach Ihrem Ausscheiden für spezielle Tätigkeitsbereiche genutzt werden können – oder spielt das Wissen ausscheidender Beschäftigter überhaupt keine Rolle?
  • Gibt es Konzepte und Maßnahmen zur Bewältigung der interkulturellen Probleme ausländischer Beschäftigte (zum Beispiel Verständigung, Art der Motivierung, Art der Kommunikation, Mentalitäten, Verständnis von Bewertungskriterien, religiöse Werte) – oder wird darauf nicht geachtet?

© Oleg Cernavin: Vertrauenskultur: Wertschöpfung durch Wertschätzung 

Literatur

Böckmann, Walter (1980): Sinn-orientierte Leistungsmotivation und Mitarbeiterführung, Stuttgart
Brödner, Peter, Knuth, Matthias (Hrsg.): Nachhaltige Arbeitsgestaltung, München und Meringen,Cernavin, O.; Holland, U. F.; Keller, S.; Rehme, G. (2006): Prävention und soziale Ressourcen in KMU, Dachdeckeruntersuchung, München und MeringenDeutsche Forschungsgemeinschaft (2001): Entwicklungsperspektiven von Arbeit, Berlin Kastner, Michael (Hg.) 2003): Neue Selbständigkeit in Organisationen, München, Mering Langner, Thomas (1986): Sozialprinzipien im Betrieb, Paderborn, München, Wien, Zürich Moldaschl, Manfred (Hg.) (2005): Immaterielle Ressourcen, München, Mering Neuberger, Oswald (2002): Führen und führen lassen, Stuttgart, 6. Auflag.Ostermann, Peter (1999): Security Prosperity – The American Labor Market: How is it changed and what to do about ist, Princeton
Rosenstiel, Lutz von. (2000): Grundlagen der Organisationspsychologie, Stuttgart, 4.Auflg.Rosenstiel, Lutz von; Regnet, Erika; Domsch, Michael (Hg.) (2003): Führung von Mitarbeitern, Stuttgart, 5. Auflag.Schein, Edgar H. (2003): Organisationskultur, Bergisch-Gladbach
Schirmbeck, Peter (Hg.) (1988): Morgen kommst Du nach Amerika – Erinnerungen an die Arbeit bei Opel 1917 – 1987, Berlin, BonnShaiken, Harley (1993): Beyond lean production, Stanford law and policy review, 5(1), S. 41 – 52 Sonntag, Karlheinz (Hg.) (1999): Personalentwicklung in Organisationen, Göttingen, 2. Auflg. Stangel-Meseke, Martina (1994): Schlüsselqualifikationen in der betrieblichen Praxis, Wiesbaden Steinmann, Horst; Schryögg, Georg (2000): Management, () Wiesbaden, 5. Auflag.Stengel, Martin (1997): Psychologie der Arbeit, Weinheim
Volkholz, Volker, Köchling, Annegret (2002): Arbeiten und Lernen, in: Brödner, Peter, Knuth, Matthias (Hrsg.): Nachhaltige Arbeitsgestaltung, München und Meringen, S. 431 - 488 

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